Der zweite Teil des Hörbuchs, der sich der Entwicklung der jüngeren Vergangenheit – darunter der Politik Israels gegenüber der sogenannten Palästinensischen Autonomiebehörde in der West Bank oder der Regierung der islamistischen Hamas im Gaza-Streifen sowie überhaupt der Frage der Demokratie in Israel und insbesondere auch gegenüber dem 1/5 der arabischen Bürger Israels – widmet, zeigt all das, was auf Grund des im 1. Teil dargelegten Befundes zu erwarten ist. Während die „Demokratie“, die für die jüdische Bevölkerung Israels in der Tat ungeachtet ihrer grundsätzlichen Beschränkungen durch ihren kapitalistischen Charakter und ihrer speziellen Einschränkungen durch die mannigfachen Auswirkungen der siedlerkolonialen Unterdrückung der nicht-jüdischen Bevölkerung Palästinas vergleichsweise mit den umliegenden arabischen Staaten zwar durchaus real ist, erweist sich der Gebrauch, der von den Zionisten von diesem Begriff gemacht wird, wesentlich als propagandistisch. Das machte am 28. Mai 1993 der frühere Verteidigungsminister und spätere Ministerpräsident, Ariel Sharon in ’Yedioth Ahronoth’, der größten Tageszeitung Israels, unter der Überschrift „Demokratie und der jüdische Staat“ folgendermaßen klar: „Die Begriffe „Demokratie“ oder „demokratisch“ kommen in der Unabhängigkeitserklärung in keiner Weise vor. Dies ist kein Zufall. Es war nicht die Absicht des Zionismus – dies ist kaum erwähnenswert -, eine Demokratie aufzubauen. Er wurde allein angetrieben von der Errichtung eines jüdischen Staates in Eretz-Israel, der dem ganzen jüdischen Volk und dem jüdischen Volk allein gehört. Deswegen hat jeder Jude in der Diaspora das Recht, in Israel einzuwandern und ein Bürger Israels zu werden.“
Bei dem vorliegende Hörbuch haben wir es mit einer Dokumentation zu tun, die so gut wie alle relevanten Fragen auf überzeugende Art beantwortet – durch den Mund jüdischer und nicht-jüdischer Zeugen wie den bereits erwähnten aber auch solcher wie Uri Avnery, Albert Einstein, dem Israel immerhin einst das Amt des Staatspräsidenten angetragen hatte, worauf er wohlweislich verzichtete, Erich Fromm, Jeff Halper, Theodor Herzl, Yeshayahu Leibowitz, Moshe Sharett, Norman Finkelstein, Arnold Zweig, Moshe Zimmermann und Moshe Zuckermann sowie dem früheren US-Präsidenten Jimmy Carter und dem Völkerrechtlers Norman Paech. Nachdem die Juden jahrhundertelang Opfer christlich-abendländischen und schließlich im 20. Jahrhundert des nazistischen Antisemitismus waren, kann eine solche Dokumentation nicht vollständig sein, ohne auch einen emotionalen Zugang zu eröffnen. Das geschieht hier durch den Rückgriff auf Texte aus dem hervorragenden Gedichtband des verstorbenen österreich-jüdischen und antizionistischen Dichters Erich Fried „Höre, Israel!“(1974).
Wenn man alle hier aufgeführten – und seit langem bekannte – Fakten Revue passieren lässt und sich der Tatsache bewusst bleibt, dass die Regierungen der imperialistischen Staaten diese selbstredend auch kennen, bleibt die Frage nach dem Grund für ihre anhaltende Unterstützung der zionistischen Politik Israels, gleich ob dort die „linke“ Arbeiterpartei oder offen rassistische Rechtsausleger die Regierung bilden. Da sind natürlich zum einen die geostrategischen Interessen an der Kontrolle der instabilen Staaten, die über gewaltige Erdölvorkommen verfügen. Allerdings bleibt eine Frage offen, die auch von den Autoren dieses Hörbuchs nicht gestellt wird – vielleicht, weil die mögliche Antwort zu grauenhaft ist. Das Hörbuch erwähnt, dass seit Jahren mehr Juden aus Israel aus- als nach Israel einwandern. Welcher Art sind dann wohl die, die dort bleiben oder gar einwandern? Die Bevölkerungsstruktur droht, sich zu Gunsten der radikalten Zionisten und/ oder religiösen Fanatiker zu verschieben. Das hat nicht nur schon jetzt Auswirkungen auf den speziellen Charakter der bürgerlichen Demokratie im Land selbst. Wenn wir es hier in wachsendem Maße mit Menschen zu tun haben, die durch die Erfahrung des stets drohenden abendländischen Antisemitismus traumatisiert sind, muss davon ausgegangen werden, dass eine nicht unerhebliche Zahl von ihnen potentielle Selbstmordattentäter sind. In diesem Zusammenhang wird seit langem auch vom „Massada“-Komplex gesprochen. Aber anders als ihre jüdischen Vorfahren in der antiken Festung Massada und auch anders als die bislang bekannten islamistischen Selbstmordattentäter, gebietet das heutige Israel über ein im Einzelnen unbekanntes aber zweifellos gewaltigen Arsenal an Atomwaffen. Das dürfte die Handlungsfähigkeit auch der imperialistischen Staaten, von denen Israel ökonomisch so abhängig ist, gegenüber diesem Land eng begrenzen.